Bergen-Belsen – Ein Sonntags-Ausflug ins KZ

Letzten Sonntag, am 5. August, war ich das erste Mal in Bergen-Belsen. Ich hatte 1997 schon einmal ein KZ besucht, in Prag, Theresienstadt. Bergen-Belsen war anders. Zum einen war, im Gegensatz zu Theresienstadt, nicht mehr sonderlich viel vom eigentlichen KZ zu sehen, sämtliche Baracken wurden seiner Zeit von den Alliierten niedergebrannt, um ansteckende Krankheiten in den Griff zu bekommen. Und Bergen-Belsen befindet sich in Niedersachsen, also praktisch vor meiner Haustür, was mir noch einmal deutlich vor Augen führt, dass dieses Gräuel nicht irgendwo weit weg stattgefunden hatte, sondern mitten unter uns.

Ein weiterer Unterschied ist die geschichtliche Aufarbeitung. Theresienstadt ist eher ein „Museumsdorf“, man läuft durch und schaut sich die Gebäude an, bleibt selbst mit Führung eher der Faszination des Schauderhaften überlassen. In Bergen-Belsen gibt es keine Gebäude. Stattdessen ein Museum, das meiner Meinung nach durch eine sehr beeindruckende Architektur beim Betreten sofort eine kalte und hässliche Präsenz von Ohnmacht und Ausgeliefertsein vermittelt.

Der Parkplatz und seine Gebäude wirken unspektakulär. Das anschließende Gebäude, nackter Beton mit großen Glasflächen, verunsichert. Keine Schilder, wo es lang geht. Der Eingang ist nicht offensichtlich. Wo geht es hinein, was erwartet mich? Der Eingang mit seinen übergroßen Flügeltüren und der Raum, ebenfalls alles graue Betonwände, mächtig, hoch, machen mich klein.

 

Das Museum

Gegen 13:00 Uhr angekommen ist eigentlich geplant, die Führung um 14:30 Uhr mitzumachen. Der erste Gedanke: Wie soll ich nun die ein anderthalb Stunden überbrücken? Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist es 14:35 Uhr. Das Zeitgefühl war total verloren gegangen. Videos mit Zeitzeugen, Opfern und Anwohnern, historische Filme von den Briten, die das Lager 1945 befreit hatten, die dokumentierte akribische und sprachlos machende deutsche Bürokratie der KZ-Verwaltung (von den Insassen wurde u.a. Name, Nachname der Mutter, Beruf, Verlegungen, Gesundheitszustand oder Todesursache auf einem zweiseitigem Standard-Formular erfasst, inklusive Fingerabdruck und Foto), Infotafeln, Fotografien von Tagebuchseiten und Zeichnungen, Fotos aus dem Lager damals und Ordner mit Infos zu Inhaftierten und Tätern, all das fordert Aufmerksamkeit, die mich nach knapp drei Stunden geradezu erschöpft. Besonders erinnerlich sind mir Filmaufnahmen zum Zeitpunkt der Befreiung: Inhaftierte gehen an den am Boden liegenden Leichen vorbei ohne sie zu beachten oder sie allenfalls anzuschauen, wie man heutzutage scheu einen Obdachlosen anblickt. Unbegreiflich normale Alltäglichkeit in einem KZ?

 

Das Gelände

Durch einen von hohen Betonwänden gesäumten Weg geht es aus dem Museum ins Gelände. Vorher auf Karten gesehen überrascht mich die vor mir liegende schiere Größe und Leere. Graswiesen und Wald, vereinzelte Schilder mit Bildern, wie es früher aussah. Wie friedlich alles wirkt. Das Schild mit dem Bild am damaligen Löschwasserbecken wirkt selbst aus der Vergangenheit wie ein Urlaubsfoto an einem Swimming-Pool.

 

Die Opfer

Der Gang übers Gelände ist irgendwann gesäumt mit hügeligen Massengräbern. Die Gesamtzahl an Todesopfern (einschließlich der nach der Befreiung ca. 13.500 Verstorbenen) wird auf 50.000 geschätzt. Ich sehe Massengräber auf dem Gelände mit bis zu 2.500 Toten je Grab. Und hier sind nicht mal alle bestattet, die hier ermordet wurden, sondern außerhalb begraben worden sind. Der gedankliche Versuch, mir das Ausmaß bildlich zu machen: Wie viele Leute gehen in ein Fußballstadion? Kapazität Volksparkstadion Hamburg 57.000 Plätze. Wie viel Einwohner hat Stade? 49.500 Einwohner (Sept. 2017). Zurück bleiben die nackten Zahlen an den Massengräbern, auf Kalkstein oder Beton geprägt. Und die Eindrücke aus den gerade gesehenen Filmen: Die ausgemergelten toten Körper (über 10.000, die bei der Befreiung des KZ im Lager herumlagen), in Massen mit Hand-Karren an die Gruben geschafft, von den ehemaligen „Aufsehern“ über Schultern getragen, mit den Füßen schlaff über den staubigen Boden schlurrend und einfach wie ein anonymes „Ding“ über den Rand reingeworfen.

Die Gesamtzahl aller Häftlinge Bergen-Belsens wird auf 110.000 bis 120.000 geschätzt; dabei sind auch diejenigen einbezogen, für die das Lager nur eine Durchgangsstation war. (Quelle:  Wikipedia)

In den oben beschriebenen Dokumenten stand bei einigen Häftlingen „Entlassen nach … (KZ-Standort)“.

 

Fragen, Fazit und Empfehlung

Nach dem Besuch in Bergen-Belsen ging´s zu McDonalds in Bispingen. Auf die Gokart-Bahn schauen, den knatternden Motoren lauschen, Normalität. Alltag und Eindrücke kollidieren und hinterlassen nachhaltig Eindrücke.

Soll, ja muss ich mich schuldig fühlen, wie geh ich mit AfD-Anhängern um, habe ich historische Verantwortung, warum, was kann ich tun gegen das menschenverachtende Wording der Politik (wie „Asylindustrie“ oder „Asyltourismus“), was ist Rassismus, was soll ich von Özil halten und der Flüchtlingspolitik Deutschlands? Hat das überhaupt Bezug zum Wochenende in Bergen-Belsen?

Ich finde die Ausstellung des Museums in Bergen-Belsen sehr gut. Das Gesamtbild aus Architektur, Medien und ausgestellten historischen Dokumenten ist einfach gut gelungen und macht einen Besuch mehr als empfehlenswert.

Wenn Ihr Bergen-Belsen besucht, bringt reichlich Zeit mit. Der Eintritt ist kostenfrei. Empfohlen wird ein Mindestalter ab 14 Jahren. Ob man sich dran hält kommt sicherlich darauf an, wie Euer Kind das Eurer Meinung nach aufnehmen wird, was Ihr Euch anschaut und was Ihr erklären wollt (müsst). Insbesondere die Filme von der Befreiung des Lagers würde ich nicht für Kinder jüngeren Alters empfehlen. Es gibt viele Leichen zu sehen.

Außerdem: Geht erst ins Museum, dann aufs Gelände (ich wäre ansonsten relativ unbeeindruckt von der großen „Weite“ und den „paar“ Grabsteinen gewesen).

Weitere Informationen findet Ihr auf https://bergen-belsen.stiftung-ng.de.

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